T. Maissen: Schweizer Geschichte im Bild

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Title
Schweizer Geschichte im Bild.


Author(s)
Maissen, Thomas
Published
Baden 2012: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Extent
291 S.
Price
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Kreis

Man konnte sich wundern über die Courage, als Thomas Maissen und sein Verlag im Jahr 2010 eine an das grössere Publikum gerichtete Schweizer Geschichte mit nur kargster Bildausstattung präsentierten. Inzwischen liegt nun ein eigener Bildband gewissermassen als Ergänzung vor. Diese versammet über 400 Bilder teils bekannter, teils unbekannter Art. Gerade das Fachpublikum, das einen Bildkanon bereits im Kopf hat, möchte bestimmten Bildern wiederbegegnen; anderseits erwartet es aber von einem solchen Unternehmen auch ein Angebot von neuen Bildern. Es kommt in beider Hinsicht auf seine Rechnung. Zu den auch Fachleuten bisher kaum bekannten Bildern gehören das Relief zur Schlacht von Marignano 1515 auf dem Grabmal Franz I. in Saint-Denis bei Paris (S. 58) oder der grosse Saal im Berner Kornhaus mit den grosszügig aufgenommenen Flüchtlingen von 1848 (S. 167) oder die schweizerische Maggi-Fabrik in Süddeutschland mit Nazi-Beflaggung 1943 (S. 217).

Im Vorwort finden sich auf zwei Seiten ein paar Überlegungen zum Konzept des Buchs und insbesondere zur Frage, inwiefern auch Bilder zu einer Zeit berücksichtigt werden sollen, da es die Schweiz noch nicht gab. Der Autor entschied sich für ein paar Belege aus der Zeit, die bloss «Voraussetzung» für die Schweiz war. Und in Abgrenzung zu bloss Lokalem entschied er sich für Illustrationen von Ereignissen, «die eine gesamteidgenössische Dimension haben, und Prozesse, die durch die Eidgenossenschaft als politischen Verband und später als Staat angeregt wurden». Alltagsgeschichte ist in der frühen Zeit schwächer dokumentiert als im 19./20. Jahrhundert.

Seit bald zwei Jahrzehnten wird Bildern – mit dem iconic turn – ein eigener Status gegeben und sind diese mehr als nur nachträgliche Illustrationen von bereits vorliegenden Texten. Inzwischen gibt es ja eine eigene Literatur zu diesem Ansatz. 1 Maissen ist aber nicht in diese Richtung gegangen, was bei einer sich über mehrere Jahrhunderte erstreckenden Gesamtgeschichte auch schwierig gewesen wäre. Man findet in diesem Bildband wiederum erstaunlich viel Text – exzellente Texte, die für sich alleine genommen eine prägnante Kürzestversion der Schweizer Geschichte gäben. Auch die Bibliografie (S. 280) ist ohne Beachtung des Illustrationsaspekts ganz nur auf allgemeine Schweizer Geschichten ausgerichtet.

Während der Verfasser die Bilder «nur» ausgewählt hat, besteht seine kreative Leistung – abgesehen von den Texten – in der strukturierten Präsentation der 13 Kapitel mit den ansprechenden Zwischentiteln. Die Bildlegenden verzichten auf jede Interpretation, beschränken sich auf elementares Benennen. Bedauerlich ist allerdings, dies speziell aus der Fachperspektive, dass nur mit nicht vertretbarem Aufwand in einem nicht nach Nummern, sondern, wie meistens, nach Standorten aufgeschlüsselten Verzeichnis festgestellt werden kann, woher ein Bild kommt bzw. bezogen worden ist.

Der neue Band ist also kein Bildatlas, wenn darunter eine serielle Präsentation von zentralen Ikonen verstanden würde. Er sieht auch von einer intensiveren Auseinandersetzung mit einzelnen Bildern ab und kommt weiterhin vom Text her, der mit seinen Ausführungen allenfalls die Auswahl, aber nicht den Inhalt der Bilder erläutert. Ein typisches Beispiel ist das Porträt von Erasmus (S. 63): Im Begleittext wird gesagt, was der Gelehrte publiziert hat, wann er erstmals in Basel und dass er vorübergehend wegen der Reformation ins Exil gegangen war und schliesslich wann er in Basel starb. Keine Erklärung gibt es dagegen zur Entstehungsgeschichte des Porträts, zur frühen und späteren Bedeutung dieses Bildes, zu den zahlreichen Varianten, zu den Ringen an den Fingern des scheibenden Geistes, zur sonderbaren Mütze, die aus Gründen der Eitelkeit des Abgebildeten den Hinterkopf grösser macht, als er war.

Eine nähere oder explizitere Auseinandersetzung mit den Motiven der Bildproduktion hätte auch zu Erklärungen geführt, aus welchen Haltungen und mit welchen Absichten die klassischen Chroniken mit Illustrationen ausgestattet worden sind. Die eindrückliche Grossabbildung des Massakers von Greifensee von 1444 (S. 49) ruft geradezu nach einer Beantwortung der Frage, wie ein paar Jahre später, 1470, die Berner Chronik des Benedikt Tschachtlan dieses Ereignis gedeutet hat. In dieser Hinsicht werden die Betrachter sehr alleine gelassen; den gleichen Umstand kann man allerdings auch positiv deuten, indem man festhält, dass der Verfasser von belehrenden Bildkommentaren absieht.

Die Bilder erscheinen verständlicherweise als nationale Bilder, da und dort hätte man aber, was eine europäische Einbettung angedeutet hätte, auch auf die transnationale Verwendung von Bildern und Bildmotiven hinweisen können, etwa bei den Schach spielenden Antagonisten Augustin Keller und einem namenlosen Jesuiten (S. 153); oder bei der bekannten Karikatur gegen die Zensur in der Restaurationszeit, die sicher nicht einzig und nicht einmal primär für Luzern 1829 verwendet worden ist (S. 142).

Die Publikation ist sicher eine Bereicherung der schweizergeschichtlichen Historiografie; sie ist zugleich auch einfach ein Beleg für eine weitere Herangehensweise, die zusammen mit anderen Beispielen, in einer analytischen Sichtung der vorhandenen und eingesetzten Bilderwelt betrachtet werden kann.

1 Vgl. etwas Bernd Roeck, Visual turn? Kulturgeschichte und Bilder (2003) oder Gerhard Paul, Visual History – Ein Studienbuch (2006).

Zitierweise:
Georg Kreis: Rezension zu: Thomas Maissen: Schweizer Geschichte im Bild. Baden, hier + jetzt, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 62 Nr. 3, 2012, S. 501-502

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Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 62 Nr. 3, 2012, S. 501-502

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